Autor: Andreas Reuland

Um unsere Stadt lebenswerter zu machen wollen wir eine Diskussion anstoßen über die Verwendung des öffentlichen Raums. Wie genau die Verkehrsflächen in Heidelberg aufgeteilt sind, ist nicht erfasst. Für einen Abschätzung haben wir uns Luftaufnahmen von Heidelberger Kreuzungen angesehen und dabei festgestellt: dem motorisierten Individualverkehr wurde bislang unverhältnismäßig viel Raum gegeben. Öffentlicher Raum ist aber ein Gemeingut, das fair unter allen Bevölkerungsgruppen verteilt werden sollte: Die Platz- und Mobilitätsbedürfnisse von Radfahrenden, Fußgängern und Kindern wurden bislang städteplanerisch unzureichend berücksichtigt.

In Berlin hat die Agentur für clevere Städte gemeinsam mit Studierenden in einer aufwändigen Studie 200 Berliner Straßen vermessen und das Ergebnis hochgerechnet: 58% der Flächen waren für den motorisierten Verkehr vorgesehen, davon 19% für parkende Autos. Lediglich 3% der Fläche blieben für den Radverkehr[1]. Die von uns untersuchten Kreuzungen in Heidelberg zeigten ein etwas besseres Bild.

Der in Kopenhagen arbeitende Städteplaner Mikael Colville-Andersen nennt diese Flächenungerechtigkeit „The Arrogance of Space“ und stellt ein Programm zur Verfügung, mit dem sich die Flächenverteilung berechnen lässt[2].

Mit diesem Programm haben wir für die Kreuzung Bergheimer Straße – Yorck Straße folgende Flächenverteilung festgestellt:

58% für PKW, 12% für Fußgänger und 6% für Radfahrende.

Natürlich kann man geteilter Meinung sein, wie eine faire Flächenverteilung aussieht. Es scheint aber keine gute städteplanerische Idee zu sein, besonders platzverbrauchende, umwelt- und gesundheitsschädliche Verkehrsmittel bei der Vergabe des wertvollen innerstädtischen Platzes zu privilegieren. Ein guter Anhaltspunkt für eine faire Flächenverteilung ist die prozentuale Verteilung des Verkehrsaufkommens nach den Verkehrsmitteln. Dieser sogenannte Modal Split sieht für Heidelberg folgendermaßen aus: die überwältigende Mehrheit, nämlich 78 Prozent aller Wege legen Heidelbergerinnen und Heidelberger umweltfreundlich mit dem Rad, zu Fuß oder mit dem ÖPNV zurück. Innerstädtisch werden 35% aller Wege zu Fuß zurückgelegt, 33% mit dem Rad und 11% mit dem ÖPNV. Lediglich 22% aller Wege werden mit dem PKW zurückgelegt[3]. Die Flächenaufteilung der von uns untersuchten Kreuzungen fällt hingegen einseitig zugunsten des PKW Verkehrs aus.

B37 Kreuzung Bergheimer – Mannheimer Str. 49% der Fläche für PKW – 7% für Fahrräder

Mobilität wäre dann gerecht gestaltet, wenn alle Menschen – auch Kinder und Senioren – ihre Wege sicher und selbständig zurücklegen können und dabei möglichst wenig Schadstoffe, Lärm und Klimagase produzieren. Dazu bedarf es aber einer besseren Verteilung von öffentlichen Flächen und Geldern zugunsten des Umweltverbundes. Viele bestehende Verkehrsplanungen entsprachen dem Leitbild einer autogerechten Stadt mit einer Bevorzugung des Autoverkehrs bei der Flächenverteilung. Das Leitbild der autogerechten Stadt hat sich aber zu Tode gesiegt: In den staureichsten Städten stehen Deutschlands Autofahrer jährlich zwei Tage lang im Stau – zwei weitere Tage verbringen sie mit Parkplatzsuche[4].

Kreuzung Berliner – Jahnstraße 39% für PKW – 12% für Fahrräder

PKW sind vergleichsweise ineffizient beim Transport von Menschen in der Stadt. In Heidelberg fahrende PKW sind durchschnittlich mit 1,2 Personen besetzt und stehen 23 Stunden am Tag. Fahrend ist die Flächeninanspruchnahme eines PKWs 5-15mal größer als die einer Straßenbahn oder eines Busses. Beispielsweise benötigt ein PKW bei 50km/h eine Fläche von 140qm pro Person, eine Straßenbahn lediglich 9qm[5] Möchte man weniger Platz für Verkehrsflächen in Heidelberg vorhalten, muss man den Radverkehr, Fußverkehr und ÖPNV fördern, indem man ihm mehr Platz zugesteht, z.B. durch die Einrichtung von Pop-up Radwegen. Da der Verkehr dann insgesamt weniger Platz beansprucht bleibt denjenigen, die auf den PKW tatsächlich angewiesen sind, mehr Platz als vorher.

Kurfürstenanlage – Rohrbacher Straße 35% der Fläche für PKW – 7% für Fahrräder

Die mit Abstand ineffizienteste Form der Flächennutzung sind parkende PKW im öffentlichen Raum. Dennoch wird Parkraum für Autos finanziell privilegiert zur Verfügung gestellt. In Stockholm kostet Anwohnerparken 827€ im Jahr[6]. In Heidelberg sind es günstige 36€ im Jahr für eine Fläche von durchschnittlich 13 Quadratmetern. Das sind weniger als 10 Cent am Tag. Vergleichsweise kostet der Stand von der Größe eines Parkplatzes auf dem Neuenheimer Wochenmarkt 15€ am Tag[7]. Dabei darf man nicht vergessen: viele Haushalte in Heidelberg, nämlich 31%, haben gar kein Auto und beteiligen sich an den kommunalen Bereitstellungskosten von geschätzt 200€ pro Jahr pro öffentlichem PKW Stellplatz. Ein effektives Parkraummanagement reduziert den Parksuchverkehr, Lärm- und Schadstoffbelastung und letztendlich auch den Parkdruck.

Lebenswerte Städte entstehen vor allem dann, wenn die Interessen der Autofahrenden nicht einseitig im Vordergrund stehen. Parkplätze lassen sich zu Begegnungszonen mit Sitzplätzen, gastronomischen Außenbereichen, Spielplätzen, Grünflächen oder Fahrradparkplätzen umwidmen. Wo ein Auto parkt, fänden zehn Fahrräder Platz. Asphaltflächen heizen zudem im Sommer vermehrt die Stadt auf. Leidtragende sind insbesondere ältere Menschen. Bäume und Grünflächen senken hingegen die innerstädtische Lufttemperatur.

Mönchhof – Berliner Str. 42% der Fläche für PKW – 14% für Fahrräder

Eine effiziente Organisation des Verkehrs mit mehr Platz für den Rad- und Fußverkehr und besseren ÖPNV Angeboten führt zu einem geringeren innerstädtischen Platzverbrauch und zu einer Belebung des öffentlichen Raums mit einer gesteigerten Lebens- und Aufenthaltsqualität, wie die Städte Wien und Kopenhagen zeigen. Es ist an der Zeit, den innerstädtischen Raum neu zu verteilen.

Quellen:

1 https://www.clevere-staedte.de/files/tao/img/blog-news/dokumente/2014-08-05_Flaechen-Gerechtigkeits-Report.pdf

2 https://colvilleandersen.medium.com/the-arrogance-of-space-93a7419b0278

3 https://www.rnz.de/nachrichten/heidelberg_artikel,-heidelberg-bus-und-bahnfahrer-steigen-aufs-rad-der-autoverkehr-stagniert-_arid,494173.html

4 https://www.boell.de/de/2018/11/30/staedte-sind-begegnungsraeume

5 https://www.zukunft-mobilitaet.net/78246/analyse/flaechenbedarf-pkw-fahrrad-bus-strassenbahn-stadtbahn-fussgaenger-metro-bremsverzoegerung-vergleich/

6 https://www.agora-verkehrswende.de/blog/parkraummanagement-zeit-fuer-ein-update/

7 https://www.heidelberg.de/site/Heidelberg_ROOT/get/documents_E933466789/heidelberg/Objektdatenbank/30/PDF/30_pdf_ortsr_A_7-18.pdf

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