Der Radkongress liegt bereits 3 Wochen zurück. Wir brauchten einige Zeit, um uns zu sammeln und unsere Gedanken neu zu ordnen angesichts der Kluft zwischen der Außendarstellung Heidelbergs als Vorzeige-Fahrradstadt und der Wirklichkeit auf Heidelbergs Straßen. Auf dem Kongress gab es keinerlei Eingeständnis der schwergängigen Entwicklung hin zu einer Fahrradstadt, auch die Entgegennahme des Landespreises Radinfrastruktur 2025 kam ohne jeglichen selbstkritischen Blick aus.

Am 11.10.2025 wurde Oberbürgermeister Eckart Würzner mit folgenden Worten im RNZ-Artikel “Gneisenaubrücke als Radwegachse ausgezeichnet” zitiert:


“Der Landespreis Radinfrastruktur ist eine großartige Bestätigung für unseren Weg hin zu einer nachhaltigen und zukunftsorientierten Mobilität in Heidelberg”, sagt Oberbürgermeister Eckart Würzner: “Mit Projekten wie der Radachse Bahnstadt – Neuenheimer Feld, neuen Fahrradstraßen, dem Ausbau des Radnetzes und Fahrradparkhäusern am Europaplatz und Hauptbahnhof schaffen wir sichere, attraktive Angebote und stärken so die Radstadt Heidelberg. Zugleich binden wir uns in die Radschnellwege des Umlands ein, etwa den geplanten Radschnellweg nach Schwetzingen. Die Auszeichnung motiviert uns, den Radverkehr in Heidelberg weiter konsequent zu stärken und die Verkehrswende voranzubringen”.

Die Äußerungen vermitteln den Eindruck eines Oberbürgermeisters, der sich aus Überzeugung und eigenem Antrieb für eine nachhaltige und zukunftsorientierte Mobilität in Heidelberg einsetzt. Das tatsächliche Wirken von Oberbürgermeister Würzner und die Entwicklungen bzw. fehlenden Entwicklungen für den Fuß- und Radverkehr zeichnen jedoch ein anderes Bild.

1. Keine Maßnahme ohne Druck von außen und vertane Chancen! 
Einige Beispiele:  

  • Über 10.000 Unterschriften von Bürgern und Bürgerinnen, viel Ausdauer und Überwinden der Gegenwehr von Seiten der Stadtverwaltung waren erforderlich, um den Prozess der Radstrategie für sichere Radwege überhaupt auf den Weg zu bringen. 
  • Trotz jahrelanger und zahlreicher Aufforderungen von Kinderbeauftragten, Eltern und anderen Initiativen wurden Maßnahmen für freie Gehwege in Heidelberg erst auf Anweisung des Regierungspräsidiums Karlsruhe gestartet. Menschen, die sich gegen zugeparkte Gehwege wehren, bezeichnet der Oberbürgermeister als Denunzianten. (RNZ vom 23.05.2024: OB Würzner steht zu seiner “Denunzianten“-Aussage). 
  • Vorschläge des Amtes für Mobilität zur Durchführung eines Verkehrsversuchs in der Mittermaierstraße wurden durch den Oberbürgermeister zunächst kritisiert, dann blockiert. (RNZ vom 14.12.2023: „Würzner hat null Verständnis für den Verkehrsversuch“). Stattdessen wurde in der Gemeinderatssitzung im März 2024 auf Vorschlag des Oberbürgermeisters die Einrichtung eines Arbeitskreises beschlossen. Der Arbeitskreis wurde bis heute nicht eingerichtet.  
  • Der vom Gemeinderat im Juni beschlossene Lärmaktionsplan ermöglicht eine deutliche Ausweitung von Tempo 30 auf Heidelberger Straßen. Tempo 30 bietet nicht nur Lärmschutz, es macht den Fuß- und Radverkehr sicherer. Von einem OB mit Ambitionen in Sachen Verkehrswende wäre zu erwarten, dass er diese Synergie nutzt und die Umsetzung des Lärmaktionsplan vorantreibt. Das Gegenteil geschieht (RNZ vom 24.10.2025 „Bei Tempo 30 hat die Stadt keine Eile“).

2. Der Bau neuer Brücken ist nicht nachhaltig und zukunftsorientiert! 

Zusätzlicher Ressourcen- und Flächenverbrauch ist weder nachhaltig noch zukunftsorientiert. 

Die Belastungen durch den motorisierten Individualverkehr werden durch den Bau zusätzlicher Brücken nicht reduziert. Es wird mit viel Geld zusätzliche Infrastruktur gebaut und in Stand gehalten, ohne die Probleme im Kern anzugehen. 

Es braucht einen Oberbürgermeister, der sich auch über Leuchtturmprojekte und Auszeichnungen hinaus öffentlich und ernsthaft für eine Verkehrswende einsetzt. Es braucht einen OB, der hinter konfliktreichen Themen wie Umverteilung vorhandener Flächen, Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs und Förderung einer gemeinwohlorientierten Mobilität steht.

3. Eine Brücke ist noch keine Radachse! 

Oberbürgermeister Würzner spricht von der „Radachse Bahnstadt“, als sei sie zum Greifen nah, wenn nicht sogar bereits vorhanden. Nichts könnte der Realität ferner sein. Wann, wie und ob überhaupt die Radachse ins Neuenheimer Feld fertiggestellt wird, ist vollkommen offen.

Hinter der prämierten Radbrücke geht es in Richtung Süden nach einer Ampel in die Da-Vinci-Straße mit 50 m Radschutzstreifen, der grundsätzlich von PKW zugeparkt ist. Es schließen sich 100 m Fahrradstraße an, in der es erhebliche Konflikte mit dem Fußverkehr gibt. Die Fahrradstraße mündet in einer Rampe in die Felder, die so schmal ist, dass sie als Gehweg mit „Fahrrad frei“ ausgewiesen wurde. Mit der Rampe endet auf dem Feldweg auch die Infrastruktur.  

Der für 2029 (!) geplante Baubeginn der Neckarbrücke im Norden der ausgezeichneten Radbrücke steht aufgrund der Heidelberger Haushaltslage gänzlich in Frage. Bis dahin müssen Radfahrende aus dem Süden weiter durch das gefährliche Nadelöhr Mittermaierstraße. 

Sichere und komfortable Radachsen sind ein wichtiger Baustein, um die Vorteile der Verkehrswende spürbar zu machen. Radachsen können auch bei knapper Haushaltskasse ohne Radbrücken eingerichtet werden. Die Herausforderungen bestehen dabei nicht in baulichen Veränderungen, wie wir mit dem Pop-Up-Radweg in der Mittermaierstraße zeigen konnten. 

Verkehrswende braucht einen Oberbürgermeister, der die Mitarbeitenden in seiner Verwaltung bei mutigen Schritten unterstützt, der die Bürger*innen seiner Stadt bei den erforderlichen Veränderungen begleitet und die positiven Perspektiven aufzeigt. Echte Führung zeigt sich nicht bei Sonnenschein, sondern dann, wenn die See rau ist!

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